"Pop 16" im HKW...
heute bei "Pop 16" im HKW (Haus der Kulturen der Welt) gewesen...
Dort am Freitag einen Vortag zum Thema "Schellack" von Hauke Sieling (Stroever Schellack Bremen) gehört... Sehr interessant... Wusstet Ihr, dass Schellack von kleinen Insekten hergestellt wird...? ...und zwar aus den Ausscheidungen der Lackschildlaus... ...und dass die Schellackindustrie immer noch existiert, und zwar in Bremen... aber heute weniger Tonträger als Beschichtungen für Tabletten herstellt..? Die weibliche Laus sitzt auf Bäumen und saugt den Baumsaft aus und verwandelt ihn in eine feste Kruste, die wie Rinde aussieht... In der Kruste verendet das tapfere Tier, während dann aber die Larven heranwachsen und sich durch die Kruste nach draußen vorarbeiten (wenn man sie lässt...) Die Kruste wird dann gern von Menschen geerntet und eingeschmolzen. Das wurde schon seit Jahrhunderten gemacht... ...aber seit Anfang des 20. Jahrhunderts boomte die Schellackproduktion dank der florierenden Tonträgerindustrie! - bis dann das Vinyl Einzug hielt. In D-Land endete das Schellackzeitalter im Jahr 1958. Nein, das ist keine Rinde... ...biologisch abbaubar? Lol....heißt das, man kann Schellackplatten kompostieren? https://de.wikipedia.org/wiki/Schellack Danach noch einen Vortrag über die Restaurierung historischer Aufnahmen gehört (Andrew Walter, Abbey Road).. - gab auch was von den Beatles zu hören... - heute Man versucht, den Sound der alten Aufnahmen so zu restaurieren, wie sie damals geklungen haben - also nicht "mehr" drausmachen, sondern "entstauben". Dazu gibt es schöne Computerprogramme... "Photoshop für Sound"... Für Bowisten interessant ist die Aufnahme des indischen Sängers Vengopal Chari, der um 1900 "Transport Noises" nachmacht.... und das klingt genauso wie der Anfang von STS! (eine andere Aufnahme desselben Sängers befindet sich auf der oben vorgestellten CD "Sprigs of Time"). 1997 hat man sogar, aus Anlass irgendeines Jahrestages (100 Jahre Schallplatte?) mit einem Opernsäger eine Aufnahme auf Wachsplatte bei 78rpm NEU gemacht... Zum Abschluss noch Teil 2 (von vier) von "American Epic" gesehen - u.a. von Robert Redford und Jack White http://www.americanepic.com/ Da geht es um die Historie der Tonträgerindustrie und der zugehörigen Musik... ...Teil 2 heute ging um Folk, Gospel und vor allem Blues... Hier einer der ersten "Popstars": Charley Patton https://de.wikipedia.org/wiki/Charley_Patton
...ein Song über Kokain? Immerhin schaffte er es auf diesen im Video gezeigten Sampler! https://www.discogs.com/d..-Junkers-Jivers-Coke-Fiends-Vintage-Songs-About-Drugs-1926-1952.. http://www.allmusic.com/../junkers-jivers-coke-fiends-vintage-songs-about-drugs Im Gang gab es wieder Diashow - diesmal über die "Indian talking Machine": Und auf der kleinen Bühne im Gang spielte eine Band den Blues: "The Americans" Es gab noch mehr Konzerte am Abend - aber die verkniff ich mir aus Zeit- und Organisationsgründen... http://bowiefun.com/stuff/pop16/programm.jpg Am Samstag war ich auf der Pfaueninsel und erst abends müde zurück und musste dem Pop16 fernbleiben. Dafür dann am Sonntag nochmal dort... Kam gerade noch rechtzeitig für die Performance von Aleksander Kolkowski, die da aber schon in vollem Gange war – eventuelle Ankündigungen oder Einführungen sind mir also entgangen. Herr K. betreibt Soundinstallationen mittels alter Grammophone und Phonographen. Das klingt bisweilen etwas seltsam – und soll es auch! Danach hielt Timothy Brennan einen Vortrag zum Thema „Imperial Jazz“... und darüber, die die „weiße Musikindustrie“ sich der Blackmusic bemächtigt hat... und andererseits, wie die Blackmusic wiederum die Entwicklung der Musikindustrie beeinflusst hat.... etc... und alles zusammen von der technischen Entwicklung beeinflusst wurde... Sehr interessant, für mich nicht ganz leicht zu verstehen, weil auf englisch und der Herr sprach zwar recht deutlich, aber durchaus flott und ohne innezuhalten... Auch waren einige Thesen seines Votrages bei einem Herrn aus dem Publikum, der sich sehr gut auszukennen schien, nicht ganz unumstritten... aber für das Q+A war nicht viel Zeit... Ein paar Stichpunkte aus dem Vortrag: - dass Popsongs heute immer noch gern ca. 3:00 min lang sind, hängt mit der damaligen Aufnahmetechnik zusammen – auf eine Plattenseite passten nur 3 min! - Die kapitalistische Industrie nutzte die schwarze Musik, um zu den Black Communities Zugang zu bekommen, die mit Klassik und Caruso und sonstiger „weißer“ Unterhaltungsmusik, nicht zu begeistern war. - die Black Music enthielt oft Unanständigkeiten...die in der weißen Musik selten offen bennnt wurden.... - Entwicklung der Technik beeinflusste auch die Entwicklung der Musik, weil man so natürlich in viel kürzerer Zeit (oder überhaupt!) Musik aus anderen Gegenden als dem Heimatdorf zu hören bekam... - Mancher sah die Tonträgerindustrie auch kritisch, weil dadurch „Arbeitsplätze“ (Musiker, Musiklehrer) verloren gingen - und vor allem die lebendige Livekultur der „Working Class“. - Ein interessantes Detail bei der Wechselwirkung zwischen Technik und Musik in jüngerer Zeit, ist, dass die Kreativen aus der zunehmenden Technisierung und Passivisierung (DJ-ing, Synthesizer) wieder eine Art Live-Kultur geschaffen haben – z.b. durch „Scratching“ und Beat Boxing“ - wo im ersten Falle das DJ-Equipment wieder zum „Instrument“ wird, und im zweiten Fall die synthetische Musik wieder live „gesungen“ wird... - Interessant auch die Strömung des „Afrofuturismus“ - eine spezielle Form der Zukunftsgläubigkeit unter Schwarzen. Man vertraute darauf, dass die Zukunft durch die technischen Neuerungen auch die letzendliche Befreiung der Schwarzen mit sich bringen würde und deshalb zu begrüßen sei. Die Maschine wurde sozusagen als „Befreier der Sklaven“ angesehen. Dazu gehört auch „Black Science Fiction“. Musikalischer Verteter des Afrofuturismus ist vor allem Sun Ra. - die schwarzen Musiker wanderten nach der großen Depression und aufgrund der zunehmenden Technisierung der Landwirtschaft des Südens nach Norden in die Industriestädte – z.b. Detroit, Philadelphia... und brachten ihre Musik mit... - Vor allem in den USA gab es den strengen Rassismus – und dementsprechend eine starke Segregation der Musik und der Musikindustrie. Schwarze Musik wurde als „Race Records“ beworben. Es galt zudem als unschicklich, wenn weiße und schwarze Musiker gemeinsam musizierten! In anderen Teilen der Welt, z.b. Kuba und Jamaica, gab es diese Vorbehalte nicht – und so „befruchteten“ sich die diversen Stile schon frühzeitig. - Jazz gilt als typische Musik der USA, aber das stimmt so nicht. Eigentlich entstand der Jazz aus karibischen Rythmen... Interssant ist, dass die karibische Musik zuerst durch Angehörige von Militärkapellen in die USA importiert wurde (einen Einfluss hatte angeblich auch, dass die Karibik meist katholisch, die USA hingegen meist protestantisch war). Danach gab's dann noch den vierten und letzten Teil von American Epic - großartiger Film! Dauerte 2 Stunden und wir sehen in diesen 2 Stunden, wie heutige Musiker in einem alten Studio, mit einer - aus Ersatzteilen(!) nachgebauten - Aufnahmemaschine im damaligen Stil Aufnahmen machen... also, ganz originalgetreu! Maßgeblich beteiligt ist daran vor allem der Musiker Jack White. Dabei sind neben einigen hierzulande wohl weniger bekannten Musikern auch Beck Hansen, Edie Brickell, der Rapper Nas, Elton John, und die Country-Urgesteine Willie Nelson & Merle Haggard. Letzerer ist vor vier Wochen verstorben, konnte aber den Film noch vorher sehen. Im Anschluss gibt’s noch ein Q+A mit Regisseur und Produzent. Die Fragen stellt ein Herr vom Rolling Stone. ein Herr vom Rolling Stone, Regisseur Bernard MacMahon, einer der Produzenten, Detlef Diederichsen (HKW) ...nein? Kein Fehltritt von Paul McCartney...? MacMahon berichtet mit sichtlicher Begeisterung von der langjährigen Arbeit an dem Film... wie alles anfing, wie sie die Maschine (die mit einem fallenden Gewicht betrieben wurde) gebaut und die Musiker angesprochen haben... und vor allem, wie sie die Aufnahmen mit dem Gerät gemacht haben – übrigens in wahrscheinlich dem letzten original erhaltenen Studiogebäude (von 1930) aus jenen Zeiten, das der Besitzer lange Jahre als Lager für seine Keyboardsammlung genutzt hatte.... Der Film kommt leider erst im Dezember 2016 raus! Müsst Ihr Euch unbedingt anschauen, wenn Ihr Euch für Musikgeschichte interessiert! Auch soll es eine DVD/BlueRay-(„oder was auch immer es dann an Technik gibt“)-Box geben. Am Abend gibt’s auch noch Konzerte... aber das Q+A zu "American Epic" dauerte recht lange und so ist wohl ein Großteil des ersten Konzertes wohl schon vorbei. Ziehe es dann vor, noch die eine Installation im Foyer anzuschauen... da gibt’s nochmal einiges zur Schellack-Produktion zu sehen. Installation im Foyer... da wurden wohl Schallplatten live "geritzt"... Kurzer Doku-Film und Exponate im Foyer: PS... Bowistisches passend zum Thema:
Noch ein wenig Bonus-Info zur Pop-Historie, passend dazu:
Der von Eno genannte "Leadbelly" wurde auch schon von Bo erwähnt... leider ist mir der Zusammenhang gerade entfallen... Hier eine historische Aufnahme "Where Did You Sleep Last Night" by LEADBELLY (1944) Blues Guitar Legend (tube) Wahrscheinlich ist diese Version des Songs bekannter https://vimeo.com/26345288 (Nirvana - mtv unplugged) Aber auch Leadbelly hat ihn nicht geschrieben... Über den Ursprung: https://de.wikipedia.org/wiki/Where_Did_You_Sleep_Last_Night Erste bekannte Aufnahme: Doc Walsh: In the Pines (1926) Und hier ist Dave van Ronk https://www.youtube.com/watch?v=ZG_p61cRArs Ausserdem: Confessions of a Vinyl Junkie By David Bowie Vanity Fair, November 2003 http://scallemang.ca/bowie25albums/# ------------------------------------ Dr. Z. 2016 first published on Davidbowie.de, 2016 -- Back to Z_Journal |